Zu dumm für die Demokratie?
Mark Schieritz
160 Seiten
Softcover: 14,00 €
Gesellschaft, Politik
Droemer Knaur

These oder Frage? Allein schon der Titel von Mark Schieritz neuem Buch könnte provozieren, und tut es auch: Hat der Wähler wirklich immer recht? Sind Wählerinnen und Wähler etwa zu dumm für die Demokratie? Das Fragezeichen im Titel entschärft nur sanft. Schieritz legt bewusst den Finger in die Wunde und fordert heraus. Er will deutlich machen, dass Demokratie mehr sein muss als die bloße Umsetzung des Volkswillens.

Historische Ursprünge und institutionelle Sicherungen

Um die Legitimität seiner Fragestellung herzuleiten, reist Mark Schieritz weit zurück in die Vergangenheit. So geht er auf die historischen Ursprünge der Demokratie ein, die ursprünglich als emanzipatorisches Konzept gedacht wurde, um Macht zu verteilen und Willkürherrschaft einzudämmen. Bereits in der Antike gab es jedoch Zweifel an der Fähigkeit des Volkes, sich nicht von Demagogen verführen zu lassen. Diese Spannung zwischen Volkswillen und institutionellen Schutzmechanismen zieht sich als roter Faden durch das Buch.

Selbstverständlich gibt Schieritz nie dem einzelnen Wähler die Schuld. Vielmehr analysiert er, ob und wo es Grenzen der Demokratie gibt – und wo sie zum Wohle aller gesetzt werden müssen. Die zentrale Frage ist für ihn nicht, ob Populisten oder Extremisten inhaltlich falsch liegen, sondern wie sie per se zu demokratischen Institutionen stehen. Der Blick in die USA zeigt: Die Gewaltenteilung wurde erschaffen, um Macht zu begrenzen und die Demokratie zu stabilisieren. Doch selbst hier setzt sich mittlerweile der Trend mit enormem Tempo fort, genau diese Sicherungen infrage zu stellen. Bereits die ersten Amtswochen des wiedergewählten Präsidenten Donald Trump sowie des nicht gewählten Elon Musk machen das auf erschreckende Weise deutlich.

Wahrnehmung und Realität im Medienzeitalter

Schieritz setzt sich auch mit der Wahrnehmung auseinander, dass Demokratie zunehmend nicht mehr funktioniert, weil ihre Errungenschaften oft und bewusst verzerrten Bildern gegenübergestellt werden. So sind für ihn viele Annahmen über Gewalt, Kriminalität und wirtschaftliches Wachstum eher eine Frage der Wahrnehmung als der Realität. Die zunehmende Verflachung des Medienbetriebs spielt hier eine bedeutende Rolle: Soziale Medien treiben die Polarisierung voran, während traditionelle Medien differenziertere Perspektiven bieten. Dass sich Trump-Anhänger vor allem über Social Media „informieren“, während Nutzer klassischer Medien eher Kamala Harris wählten, ist für Schieritz ein Beleg für den Trend zur Vereinfachung.

Politische Entscheidungen gegen den Volkswillen

Den Appell, Wahrheit klar zu benennen, richtet der Autor vor allem an die Politik. Ständiges Zurückweichen aus Angst vor Wählerverlusten sei keine Strategie. Manchmal müsse Politik auch gegen den kurzfristigen Willen des Volkes entscheiden – Beispiele wie die Westbindung oder der NATO-Doppelbeschluss hätten gezeigt, dass zentrale Entscheidungen nicht immer populär waren, aber langfristig stabilisierend wirkten.

Die Demokratie sichert sich laut Schieritz nicht nur durch das Mehrheitsprinzip ab, sondern auch durch den rechtlichen Rahmen, in den sie eingebettet ist: das Grundgesetz als Verfahrensordnung und weltanschauliche Grundlage. Bestimmte Werte, wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, sind nicht verhandelbar und können nicht demokratisch abgeschafft werden. In diesem Kontext diskutiert Schieritz auch das Recht auf Widerstand gegen undemokratische Entwicklungen und die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, die diese Grundwerte missachten.

Ein Aufruf zur Verteidigung der Demokratie

Hitler hätte verboten werden können. Diese Einsicht teilt der Autor mit den Vätern und Müttern des Grundgesetzes, die juristische Mechanismen geschaffen haben, um der Macht der Verführung entgegenzuwirken und grobe Verstöße gegen die Demokratie zu verhindern. Eine liberale Demokratie müsse daher nicht jede Meinung politisch repräsentieren.

Die Hoffnung, die Schieritz mit seiner Leserschaft teilen möchte: Trotz der wachsenden Wut und Frustration in der Gesellschaft ist Besinnung möglich. So plädiert der Autor für ein verantwortungsbewusstes Umgehen mit der eigenen Stimme. Die Annahme, dass Wähler niemals kritisiert werden dürfen, sei falsch. Vielmehr sei es die Aufgabe von Politik und Gesellschaft, klare Grenzen zu setzen, ohne demokratische Grundsätze aufzugeben.

„Zu dumm für die Demokratie?“ ist eine bewusst provokante Analyse der Herausforderungen, vor denen moderne Demokratien heute stehen. Das Buch fordert dazu auf, nicht in Resignation zu verfallen, sondern demokratische Prinzipien aktiv zu verteidigen. Es ist eine Mahnung, Demokratie als wertgebundenes System zu verstehen, das wehrhaft bleiben muss.

Rainer Tautz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert