Er ist einer der letzten seiner Zunft, und in wenigen Tagen nimmt auch er seinen Hut. Nach 50 Jahren bei der Bahn wird Rudi Brunke in den Ruhestand gehen. Seinen Dienstraum im Bahnhof Sylbach (der eigentlich gar kein Bahnhof ist) wird er sogar schon früher endgültig abschließen, denn im Zeitalter der Automatisierung werden Fahrdienstleiter auf einer Blockstelle (so lautet Rudis offizieller Titel) nicht mehr benötigt. Wir durften Rudi in Sylbach besuchen und mit ihm, zwischen zwei eurobahn-Stopps, über seine Arbeit sowie über das Leben eines Schiedsrichters plaudern.
Hallo Rudi, jetzt haben wir es Viertel nach elf und der ERB 72 von Lage nach Bad Salzuflen ist gerade durch. Was passiert als nächstes?
Wir warten auf den nächsten Zug, der in entgegengesetzter Richtung unterwegs sein wird. Wenn er pünktlich ist, wird er hier um 11.46 Uhr haltmachen. In einer Stunde ist dann wieder der ERB 72 von Lage nach Detmold an der Reihe.
Zwei Züge in einer Stunde. Ist das nicht etwas langweilig für eine Achtstundenschicht?
Stress kommt bei dieser Taktung natürlich nicht auf – aber das muss es auch nicht. Denn immerhin übernimmt jeder Fahrdienstleiter in einer Blockstelle eine Menge Verantwortung. Obwohl die Streckenabschnitte gleich mehrfach gesichert sind, kommt es bei der zuverlässigen und pünktlichen Beförderung der Fahrgäste auf jeden einzelnen Mitarbeiter an der Strecke an. Außerdem ist es ja nicht so, dass ich hier nur rumsitze, um zweimal pro Stunde den Lokführern zuzuwinken. Ich nehme vor der Abfahrt der Züge in Lage bzw. in Bad Salzuflen die Meldungen der dort arbeitenden Fahrdienstleiter entgegen, vergewissere mich, dass die Strecke vor und hinter der Blockstelle Sylbach frei ist und setze per Hebel und Drahtzug die Signale für die Weiterfahrt. Darüber hinaus veranlasse ich, dass die Bahnübergänge auf der Sylbacher Straße sowie Im Poten gesichert werden und protokolliere jeden Schritt. Vor wenigen Wochen habe ich sogar noch selbst die Schranken herunter- und raufgekurbelt.
Wieso eigentlich Blockstelle? Sind wir hier nicht in einem Bahnhof?
Nicht mehr. Seit 2005 wird Sylbach nur noch auf einem Gleis befahren. Der Bahnhof wurde damit zu einer Haltestelle an einer Blockstelle.
Wenn man sich hier in deiner Dienststelle umschaut, wirkt das gesamte Inventar recht antiquiert. Täuscht das?
Jein. Tatsächlich ist es so, dass die Technik in dieser Dienststelle bereits mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Einiges von dem, was hier steht, könnte sogar noch auf das Jahr der Streckeneröffnung zurückgehen – das war 1880. Allerdings ist die Technik und die Feinmechanik dahinter noch immer so zuverlässig wie am ersten Tag. Und die Weichen für die Züge werden hier ja ohnehin nicht mehr gestellt. Nach der aktuellen Modernisierungsstufe wird in Sylbach auch das Geben der Signale und die Sicherung der Bahnübergänge vollautomatisch erfolgen. Genau deshalb wird es diese personenbesetzte Blockstelle in Sylbach ja auch in wenigen Tagen nicht mehr geben.
Was wirst du dann beruflich tun?
Ich gehe im Herbst in den vorzeitigen Ruhestand, denn meine Dienstjahre werde ich dann erfüllt haben. Seit dem 1. September 1968 bin ich bei der Bahn beschäftigt. Bevor ich am 1. September 2000 hier nach Sylbach kam, habe ich in Bad Salzuflen, Schötmar, Lemgo, Herford und auch Bielefeld gearbeitet. Sogar in Westerland auf Sylt war ich für die Bahn tätig – als Saisonkraft für die Gepäck- und Expressgutaufgabe.
Also hast du künftig mehr Zeit für dein Hobby – für den Fußball?
Genau. Ich bin seit 34 Jahren Schiedsrichter und könnte theoretisch ab Herbst jeden Tag pfeifen. Allerdings findet nicht an jedem Tag ein Spiel statt. Außerdem muss man mit 64 Jahren ja auch nicht täglich auf dem Fußballfeld stehen. Rund fünfzig Spiele pfeife ich pro Jahr – das reicht.
Du pfeifst in den unteren beiden Ligen. Hattest und hast du keine Ambitionen für Höheres?
Eigentlich schon, aber angeblich laufe ich während des Spiels zu wenig. Ich selbst meine allerdings, dass ich auch vom Mittelkreis alles genau sehen kann. Im Ernst: Das Schiedsrichterdasein macht mir auch in den unteren Kreisligen sehr viel Spaß. Und besonders in diesen Klassen werden Schiris ja dringend benötigt. Um höhere Ligen oder eine steile Schiedsrichterlaufbahn ist es mir nie gegangen. Ich habe 1977 mit Fußball angefangen, als in meinem Heimatdorf der Fußball mit dem SC Fortuna Retzen wiederbelebt wurde. Zunächst habe ich selbst gekickt, doch nach einem Bänderriss musste ich meine junge Karriere als Aktiver aufgeben. Als Jahre später neue Schiedsrichter gesucht wurden, habe ich mich breitschlagen lassen und einen Schiedsrichterlehrgang gemacht. Bereut habe ich es bis heute nicht.