Mein Gott, darf man das? Als Vincent seinem Freund, seinem Schwager und seiner Schwester süffisant mitteillt, dass sein zu erwartender Stammhalter Adolphe heißen wird, ist die Entrüstung riesengroß.
Der schöne Abend mit Freunden, Familienmitgliedern und marokkanischem Buffet ist dahin, Rechtfertigungsversuche sind zwecklos und Verständnis ist nicht zu erwarten. Vincents Schwager, der verkniffene Literaturprofessor Pierre, setzt sich an die Spitze der Moralapostel und führt einen Kreuzzug im eigenen Wohnzimmer – gegen die Kopf- und Verantwortungslosigkeit seines Schwagers und die Beliebigkeit der Gesellschaft.
Doch statt den Freund seit Kindertagen zu bekehren, scheint der sich einen Spaß aus der moralinsauren Empörung zu machen. Einen Spaß, den er und seine Frau Anna dann leider doch zu weit treiben. Denn im Eifer des bierernsten, rhetorischen Gefechts gibt ein Wort das andere – bis Worte fallen, die bisher nie gesagt wurden und die nicht mehr zurückzunehmen sind. „Natürlich“ soll der Sohn nicht Adolphe, sondern Henri heißen. Doch Pierres und Babous Kinder heißen tatsächlich Adonas und Athena; und mit der Wahl dieser Namen hätten sich die Eltern nach Ansicht von Vincent und Anna ohnehin als Ratgeber für den richtigen Namen disqualifiziert.
Die Paare gehen aufeinander los und spätestens als der gemeinsame Freund der Familie, Claude, vom Außenstehenden zum Ziel der Spießer-Gemeinheiten wird, entgleitet die Situation ins Unkontrollierbare. Vincents Spiel eskaliert.
Die Komödie „Der Vorname“ von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière ist ein großartiges Duell zweier verstockter Alphatiere, die in der Auslebung ihres Egoismus unterschiedlicher nicht sein können. Mit zorniger Verbissenheit (Pierre) und rücksichtsloser Unbekümmertheit (Vincent) fahren sie einen geselligen und von Babou aufwendig vorbereiteten Abend mit voller Wucht an Wand. Sie reißen die Menschen, die ihnen nahe stehen, in den Streit hinein und zerren langgehütete Geheimnisse und Vorurteile ans helle Tageslicht. Bis zum traurigen Höhepunkt.
Dass „Der Vorname“ trotz alledem eine herrlich witzige Komödie geworden ist, verdankt das Stück der grandios verwobenen Geschichte und der großartigen Zeichnung jedes einzelnen Charakters. Mit Martin Lindow (Vincent), Christian Kaiser (Pierre), Julia Hansen (Anna), Benjamin Kerne (Claude) und Anne Weinknecht (Babou) stand ein Ensemble auf der Bühne, das die Rollen nicht besser hätte verkörpern können. Ein Riesenspaß mit tiefen Einblicken in die menschlichen Abgründe. ta
Kommentare
Den positiven Eindruck teile ich nicht. Der dramaturgische Fehler zu Anfang (gefühlte dreißig Minuten über einen Joke zu debattieren, sein Kind Adolphe nennen zu wollen) ließ das Stück unendlich lang(weilig) werden. Zur Pause habe ich mich verabschiedet.